Das Gebiet rund um den ungarischen Plattensee gilt als Raum für architektonische Experimente. 120 kleine Gemeinden buhlen um die Aufmerksamkeit der Touristen und profilieren sich durch auffällige Bauten. Auch das Dorf Zamárdi mit etwa 2.000 Einwohnern ist einer dieser Orte und hat ein Gemeindezentrum, welches man unmöglich übersehen kann. Das liegt vor allem an der futuristischen Gestaltung, der eine historische Verbindung innewohnt.
Sehen und gesehen werden
Hässlich und schön, kalt und lebendig, passend und im Weg. Was man nicht alles sagen kann über das neueste Experiment am Plattensee in Ungarn. „The Zam“ ist das Gemeindezentrum des Ortes Zamárdi und ein Gebäude, zu welchem wohl jeder seine eigene Meinung hat. Wichtig ist hier gesehen zu werden, denn neben der außergewöhnlichen Erscheinung ist es auch in der Nutzung besonders. Für etwa zwei Monate im Jahr – nämlich in der touristischen Hochsaison – ist hier mit bis zu 40.000 Touristen zu rechnen, denen man auch einiges bieten möchte. Lesungen, Konzerte, Ausstellungen und andere Veranstaltungen finden im 300 m2 großen Mehrzweckgebäude statt, zudem gibt es eine Terrasse mit Blick auf den Plattensee. „Die Gemeinde suchte nach einem ikonischen Gebäude“, erzählt uns der Architekt Géza Kendik von Studio A4. „Gleichzeitig wollten wir aber nichts Überdimensionales kreieren, weil es den Rest des Jahres nur von der lokalen Bevölkerung genutzt wird.“
Historische Optik
Die moderne Konstruktion befindet sich in einer historisch unvergleichlichen Gegend, welche sowohl in die Form des Gebäudes als auch in die Materialauswahl einfließt. In den 70ern hat man in der Nähe einen gigantischen Awaren-Friedhof aus dem 16. Jahrhundert entdeckt. Das Reich der Awaren zählte über 200 Jahre lang als der wichtigste Machtfaktor zwischen dem Fränkischen und Oströmischen Reich. Sie glaubten an ein Leben nach dem Tod, weswegen auf dem 25.000 m² großen Areal auch zahlreiche Schmuckstücke gefunden wurden, darunter viele Stahlelemente, die man den Toten ins nächste Leben mitgab. „Ich wollte eine Optik, die jenen der gefundenen Ringe ähnelt“, verrät Kendik. „Die hellgrauen PREFA Dachschindeln kommen dem historischen Schmuck farblich sehr nah.“ Für die kleinen Radien der Fassade arbeitete der Handwerker mit einer Sonderlösung, indem er die Schindeln zugeschnitten und an die Rundungen angepasst hat. „Ein Material, das du schneiden kannst, ist nicht so leicht zu finden. PREFA ist dafür perfekt geeignet und zudem sehr gut für das windige Ufer des Plattensees“, so Kendik.
Ein Gebäude ohne Fenster?
Das Innere des Gemeindezentrums ist nicht weniger interessant. Eben dieses runde Gebäude beherbergt einen Ausstellungsraum, für den sich der Architekt wünscht, dass die Fundstücke des Friedhofs dort auch präsentiert werden. Die runden Wände machen den Raum akustisch zum idealen Ort für Konzerte und andere Vorstellungen. „Wenn du in der Mitte stehst, fühlst du dich fast wie in einem Sakralbau“, schwärmt Kendik. „Das Großartige ist, dass du dort sowohl mit dem Raum und dem Publikum in Kontakt bist als auch mit dem Äußeren.“ In der Mitte befindet sich nämlich der einzige Punkt des ansonsten fensterlosen Gebäudes, wo natürliches Licht hineingelangt. „Man fühlt die Sonne zu jeder Tageszeit anders, man hört den Regen, jede Jahreszeit wirkt sich auf das Innere unterschiedlich aus“. Im angrenzenden Gebäudeteil finden die Besucher der Veranstaltungen das Buffet, einen Souvenirladen sowie Toiletten.
Probieren geht über Studieren
„Wenn ich das Gebäude mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das ‚Versuch‘, weil man im Gebiet um den Plattensee ständig Neues ausprobiert. Und das haben auch wir gemacht“, sagt Kendik. Auffällig sind dort besonders die rundförmigen Gebäude aus Stahlbeton, die aus den 50er und 60er Jahren stammen. Wenige von ihnen haben nur eine Funktion, sondern wurden auch mit Restaurants, Bars oder Sportmöglichkeiten ausgestattet. „Experimente dieser Art gibt es mittlerweile oft in den Gemeinden und sogar von Privatpersonen. Und das war unser Vorbild für den Entwurf.“ Zum Versuch wurde „The Zam“, weil man sich lange nicht sicher war, ob das futuristische Design zur Funktion passt. „Für mich als Architekt war das eine große Möglichkeit, meine Versuche nicht nur auf dem Papier zu machen, sondern an einem lebenden Gebäude zu verwirklichen.“ Dass das Projekt gelungen ist, merke man daran, dass es die Leute beschäftigt: Man bleibt stehen, sieht hin und möchte hineingehen.
Alles außer gewöhnlich
„Ein typisches A4-Gebäude gibt es nicht“, erklärt Géza Kendik, der das Studio 1992 gegründet hat und aus jedem Projekt eine Art internen Wettbewerb macht. In seinem Architekturbüro arbeiten Menschen aus allen Altersgruppen, ein Teil mit technischem Hintergrund, ein Teil aus der angewandten Kunst. „Ich mag diesen Mix an unterschiedlichen Leuten“, erzählt er. „Dadurch vereinen wir sehr viele verschiedene Stile und Ansichten, die sich auch in unseren Gebäuden widerspiegeln.“ Er selbst nimmt sich jeden Tag eine halbe Stunde Zeit, um sich anzusehen, „was in der Welt der Architektur so passiert“. Dies helfe ihm vor allem, am Puls der Zeit zu bleiben und nicht altmodisch zu werden – eine Philosophie, die das Experiment „The Zam“ zum Erfolg geführt hat.
The Zam - Details
Land: |
Ungarn |
Objekt, Ort: |
Gemeindezentrum, Zamárdi |
Kategorie: |
Neubau |
Architektur: |
Studio A4, Géza Kendik |
Verarbeiter: |
ICH Mérnök Kft. |
Material: |
|
Farbe: |
P. 10 Hellgrau |
weitere Infos:
- Text & Interview: Marco Steurer
- Fotos: © Tamás Bujnovszky
- Plan: © Studio A4