Wie wohnen wir im Alter und welche Räume brauchen wir in Zukunft für die Pflege? Zwei Fragen, die sich im fortschreitenden demographischen Wandel der Industrieländer immer dringlicher stellen. Die Wiener Architekten Ralf Mühlbacher und Viktor Marschalek positionieren sich seit Jahren mit ihren Projekten dazu und haben auch für unkonventionelle Lösungsalternativen etwas übrig. Darüber hinaus teilen sie eine Begeisterung für die Schönheit von Funktionalität und für eingehaltene Kosten- und Zeitpläne.
Die Architekten Mühlbacher und Marschalek gehen seit über 20 Jahren beruflich gemeinsame Wege. Sie sind sich einig, dass es neben der Arbeit an Entwurf und Formfindung für den Architekten vor allen Dingen um Funktionalität und die wirtschaftliche wie zeitgenaue Umsetzung eines jeden Projekts gehen muss.
„Das Erfüllen funktionaler Kriterien und ein Einhalten der Kostenrahmen und vereinbarten Zeitpläne sind die Grundvoraussetzungen für Architektur, wie wir sie befürworten“, proklamieren sie gelassen im Gespräch. Für Interessierte ist auf der Bürohomepage zu lesen, dass sie als staatlich befugte und beeidete Ziviltechniker „durch strukturierte Projektabläufe die termingerechte und wirtschaftliche Umsetzung aller Bauvorhaben“ gewährleisten. Viktor Marschalek ergänzt: „Uns haben diese Aspekte besonders in der Architekturausbildung gefehlt.“ Und dass sie heute immer noch nicht in den Lehrplänen verankert sind, „erschreckt eher, als dass es optimistisch stimmt“, sagt Marschalek weiter.
„Wir machen uns dennoch keine Sorgen um nachfolgende Architektengenerationen, aber vieles kann man nur in der Projektpraxis lernen. Im Studium ist reine Formfindung noch immer viel zu präsent.“ Entwerfen sei zum Beispiel bei ihnen im Büro „klar methodisch aufgebaut“, erwähnt Ralf Mühlbacher.
Die Projekte sind dennoch stets prototypisch, da die Zusammensetzung der Beteiligten an der Planung und späteren Umsetzung und die Rahmenbedingungen spezifisch sind. „Entsprechende notwendige Routine im Umgang mit allen Prozessbeteiligten vermittelt sich kaum in den klassischen Ausbildungsstätten. Die Expertise dafür geben wir als Architekten und Generalplaner gerne weiter.“ Man erwarte aber den etwas anderen Blick auf den eigenen Beruf und die Baurealität vom gesamten Team. Schließlich gäbe es täglich Konflikte zu lösen. Wie behaupten sich Architekten letztlich im immer komplexer werdenden Anforderungsfeld stark spezialisierter Bauprozesse? „Mittelfristig“, so Marschalek, „wird die klassische Rollenidee des Allrounders abgelöst werden.“
Erfahrungen in der Praxis
Mit der Erweiterung und dem Umbau des Landespflegeheims Hainfeld in Niederösterreich verfuhren Mühlbacher und Marschalek in diesem Sinne. Im Wettbewerb, erklären sie, ließen sie zum Beispiel die Materialwahl der Fassaden offen. Das Signal: Hier gibt es einen Spielraum, in dem ein vorangehender Planungsprozess in die Entscheidung über das Erscheinungsbild des Gebäudes mit einfließt. Den Auftraggebern wurde kommuniziert, dass man je nach Kostenrahmen, technischen Anforderungen und Angebotslage über diesen Gestaltungsaspekt gemeinsam entscheiden wird. Die räumlichen und prozessbezogenen Lösungsansätze, die im Wettbewerbsentwurf formuliert wurden, traten damit noch einmal in den Vordergrund. Schließlich war es eine der Anforderungen, bei laufendem Betrieb den Umbau zu realisieren. „Dass wir letztlich Prefalz in verschiedenen Farbtönen für die Fassade verwendeten, hat zum einen den Grund, dass die Firma PREFA eine wirklich professionelle Planungs- und Baubegleitung anbietet“, erläutern die beiden Architekten, „zusätzlich überzeugen die auf lange Sicht robusten Materialeigenschaften.“ Mit einer unterschiedlichen Farbgebung ein und desselben Materials nimmt der Entwurf Bezug auf die Bebauung der Umgebung, die wesentlich kleinmaßstäblicher ist als der zusammenhängende Gebäudekomplex des Pflegeheims. 2017 startete man mit dem Abriss eines Bestandsgebäudes. Danach erfolgte der Zu- und Umbau in drei Bauetappen. Im Herbst 2020 konnte man das neue Haus, in dem Demenzpatienten untergebracht sind, eröffnen. Seitdem werden bis zu 114 Personen in acht Wohngruppen vor Ort betreut. Das Projekt brachte den Architekten den Preis Vorbildliches Bauen in Niederösterreich 2021 ein.
Wie wohnen wir im Alter?
Mit dem Einstieg in den Bereich Pflege und Gesundheit setzte man auf die richtige Spezialisierung. Den üblichen Hype um Form und Geste repräsentativer Bauaufgaben teilen Mühlbacher und Marschalek nicht. „Sinnstiftend“, so Mühlbacher, sei vielmehr, „dass die Arbeit unmittelbar mit dem Menschen zu tun hat.“ Man würde sich auf diese Art und Weise konkret an der Gestaltung einer sozial-agierenden Gesellschaft beteiligen. „Architektonisch kann sich das an Details zeigen. Ein Parapet in Sitzhöhe zum Beispiel ist eine kleine Idee, die im Alltag für pflegebedürftige Menschen eine enorme Erleichterung bietet.“ Eine grundlegende Antwort auf die im Durchschnitt älter werdende Gesellschaft müsse in jeder Generation neu formuliert werden. Daran teilzuhaben sei ein besonders zufriedenstellender Prozess. Wie konkret Wohnen im Alter aussehen kann, wird von Mühlbacher, Marschalek und Team für jedes Projekt ausgiebig reflektiert. Die Architekten beschreiben als Vorbilder niederländische und Schweizer Modelle, die Wohngruppen und gemeinsam genutzte Versorgungsservices ermöglichen. Weniger ein Mehrgenerationenwohnen – das sei immer wieder zum Scheitern verurteilt – als vielmehr eine räumlich zusammengefasste Infrastruktur, die Menschen einer Lebensphase miteinander verbindet, verstehen sie als realisierbare Antwort auf den demographischen Wandel.
Welche Räume brauchen wir in Zukunft für die Pflege?
Mit einem guten Gespür für das, was kommt, fokussieren sich Mühlbacher und Marschalek auf Bauten im Gesundheitsbereich. „Die Pflegemodelle werden permanent an neue Standards angepasst, die sich letztlich auch unterschiedlich architektonisch zeigen“, beschreiben sie das Potenzial für Architekten, das sie langfristig im abwechslungsreichen Gesundheitsbau sehen. Dieser sei komplex, würde viele verschiedene Berufsfelder, Spezialisierungen und Ansprüche zusammenführen. „Diese spannende Schnittstelle stellt uns persönlich und als Architekten vor Herausforderungen, die pragmatische und funktionierende Antworten bedürfen“, führt Ralf Mühlbacher aus. „Wohnen in der Zukunft und im Alter findet sicherlich nicht in Einfamilienhäusern statt. Gemeinschaftsbildende Typologien werden jene des individuellen Wohnens ablösen müssen.“ Im weiteren Gespräch geht er auf den bereits sehr hohen Standard ein, den der Pflege- und Gesundheitsbau erreicht hat. Man kann noch eine grundlegendere Frage heraushören, nämlich was einer Gesellschaft das Wohnen im Alter wert ist: „Eine politisch wie finanzielle Aufgabe“, sind sich die Architekten sicher.
Von Nutzungstauglichkeit bis Regelreduktion
Ihr eigenes Interesse an funktionalen Bauaufgaben sehen die Architekten auch als eine Folge ihrer Beschäftigung mit eher untypischen Projekten wie U-Bahnbauten, Verkehrsinfrastrukturen, Fußgängerbrücken und Bankfilialen. Angefangen hat, laut Marschalek, alles mit einer unkonventionell agierenden Architektengruppe mit dem Namen „U-Bahn“. Viktor Marschaleks Vater ist einer der Verantwortlichen für den Bau der U1 und prägte mit der Architektengruppe U-Bahn, der AGU, das gesamte System und Erscheinungsbild der Wiener U-Bahnbauten. Natürlich eröffnet es andere Perspektiven auf eine Disziplin, wenn man sich in einem Umfeld befindet, in dem Stichworte wie „Over-All System Design“ selbstverständlich sind. Ein vernetztes, funktions- und wirkungsorientiertes Denken nahmen Viktor Marschalek und Ralf Mühlbacher aus vielen Wettbewerbsentwürfen für „U-Bahn“ in die eigene Praxis mit. „Man verstand sich und arbeitete sehr erfolgreich zusammen. Seit 1999 dann im eigenen Büro.“ Seitdem versucht man in allen Projekten stets „über die eigentliche Aufgabe hinauszudenken und sich den unterschiedlichen zeitlichen Nutzungsphasen bewusst zu sein“. Was man sich von Bauprozessen und Projektbeteiligten wünscht, um Ärger in Zukunft noch besser zu vermeiden? Die Architekten müssen kurz überlegen, ehe sie eine eindeutige Antwort parat haben. „Man muss an einem Tisch zusammenkommen, bevor es zur Form kommt“, lautet dann der Gedanken, den sie formulieren.
„Und“, legen sie nach, „etwas weniger Bauvorgaben täten der Architektur gut, die ohne eine Reduktion der Regeln kaum Herausragendes mehr hervorbringen wird.“
weitere Infos:
- Text & Interview: Claudia Gerhäusser
- Portraits: Martin Croce
- Fotos: Andreas Buchberger